Freitag, 11. Oktober 2013

40. Tag: Von Castelló nach Sagunto


Es will heute nicht richtig hell werden.
Die Abreise verzögert sich  erheblich. Nicht, weil ich trödle, sondern weil mich der Hotelier in ein langes Gespräch verwickelt. Er hat gestern mein Fahrrad in der Rezeption stehen sehen und  heute Morgen extra auf mich gewartet. Er will alles über meine Reise wissen. Er erzählt, dass er jahrelang jeden Tag mit dem Fahrrad einige Stunden unterwegs war. Bis ihn vor ein paar Jahren ein Lastwagen erwischt, sein Fahrrad  mehrfach gefaltet und ihn in ein Feld katapultiert hat. Seither traut er sich nicht mehr Touren zu fahren. Seinen großen Traum hatte er abgeschrieben. Er wollte unbedingt einmal mit dem Rad nach Santiago de Compostella fahren. - Bis gestern. Er ist jetzt 60. Am meisten hat er Angst davor, dass er die Berge nicht mehr hoch kommt. Doch als er von meiner Reise und meiner Vorliebe für "Flüsse" hört,  ist er ganz begeistert.
Je länger wir uns unterhalten, desto mehr habe ich den Eindruck, dass er seinen Traum vielleicht doch noch verwirklicht.
Er kennt sich natürlich bestens in der Gegend aus, und zeichnet mir eine detaillierte Skizze, wie ich auf kleinen Straßen, immer der Küste entlang bis Sagunt komme.
Die Tipps sind goldrichtig.
Kaum habe ich Castelló  hinter mir, herrscht eine ganz eigenartige Stimmung.
Auch in Spanien zieht der Herbst ein.
 Die Wolken kommen sehr tief über das Meer. Es ist nicht kalt, aber von Sonne keine Spur, mal frischt der Wind auf, mal legt er sich fast ganz.
Und es ist eigenartig still.
Es ist der Tag der leisen Geräusche. Das Rollgeräusch der Reifen, sonst nichts.
Dann raschelt und knistert der Wind im Schilf. Ich habe noch nie so hohes Schilf gesehen. Sicher über 3m
Wird der Wind kräftiger, dann bewegt er die Kronen der Palmen und erzeugt trockene fast elekrisierende Geräusche.
Keine Autos. Ganz in der Ferne mal ein hysterisches Moped. Ich begegne über längere Zeiträume überhaupt niemand.
Die Dörfer sind nicht mehr so touristisch entstellt. Ich habe eher den Eindruck, tagsüber sind alle in der nächsten Stadt beim Arbeiten.
Selbst den Möwen fällt heute nichts ein, worüber sie sich beschweren könnten.
Über einem abgeernteten Reisfeld führen Schwalben ihre aberwitzigen Flugmanöver durch. Ihre spitzen Schreie, die fast wie ein Pfeifen klingen, sind nicht mehr so energiegeladen wie im Sommer (man kann ja viel hineininterpretieren).
Es ist eine schöne Stimmung, ich fühle mich gut, ein bisschen melancholisch, die Reise geht ihrem Ende entgegen. Dabei habe ich das Gefühl es könnte einfach so weiter gehen.
Dann lacht mich plötzlich ein Häuschen aus. Und reisst mich aus meiner Gefühlsduseligkeit. Bald darauf holen mich Rasenmäher und Laubbläser einer Touristensiedlung endgültig  in die Wirklichkeit zurück.
Der Vormittag ist irgendwie im Fluge vergangen. Um 14:00 bin ich am Hotel in Sagunto Port.
Die Sonne kommt nun doch heraus. Es wird warm. Und genug Zeit für den touristischen Teil des Tages. 
Gestern wolle ich es eigentlich nicht glauben, dass es im historischen Teil von Sagunt keine Hotels gibt. Aber nachdem ich die 5km hinauf nach "Alt"-Sagunt geradelt bin, muss ich feststellen, ich kann wirklich kein Hotel finden.
Sagunt ist eine eigenartige Stadt. Einige beeindruckende mittelalterliche Viertel. Besonders die "Juderia", das Judenviertel ist, - wie sagt da der Reiseführer - "pittoresk'"

 Eine sehr schöne, in der Bausubstanz romanische Kirche, die dann gotisiert, barockisiert und schließlich "restauriert" wurde, so dass man schon genau hinschauen muss um ihre reizvollen Ecken zu finden.
Und dann natürlich die beiden Top-Highlights, das römische Theater und die Burg.
Aber darum herum, die riesigen Wohnblocks der 70er Jahre, die Franco wohl den DDR-Plattensiedlungen abgeschaut hat.
Sagunt ist eine wichtige Industriestandort (gewesen?), der zufälligerweise auch noch ein unglaublicher Knotenpunkt der Geschichte war. Da passt nicht viel zusammen.
Welcher Ort kann schon von sich behaupten, dass er von Hanibal belagert und eingenommen u n d  a u c h von El Cid belagert worden ist, und von Napoleons Generälen halb zerstört wurde.
Sagunt war lange wichtiger als Valencia. Doch mit deren Aufstieg, begann der Niedergang Sagunts.
Das römische Theater ist natürlich sehenswert.
Ahnt man in Arles, beim Anblick der herumliegenden Trümmer, was ein römisches Theater war, sieht man in Orange, ein fast vollständig erhaltenes Theater, so ist Sagunt eine Enttäuschung. Hier wurde ein antikes Theater - modernisiert und der Phantasie alle Spielräume genommen.
Die beiden Säulen rechts von der Mitte, die sind noch original, der Rest ist modern. Wirkt super, ist sicher gut bespielbar. Könnte aber auch der Eingang zu einem Spielcasino sein.
 Napoleons Generäle scheinen wirklich ganze Arbeit geleistet zu haben, Lediglich die "Katakomben" sind teilweise noch erhalten.


Die Ruinen der riesigen Burganlage hingegen sind nach wie vor beeindruckend, obwohl nicht mehr viel steht.
Keltiberer, Phönizier, Römer, Mauren und  Christen und die Gelder der EU,  alle haben ihre Spuren in diesem immensen Steinhaufen hinterlassen, der immer noch das Bild der Stadt und der Tiefebene vor Valencia prägt.
  Ein schöner Tag! Auch wenn ich nach der kleinen "Bergtour" und den etwa 70km insgesamt, zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder etwas "müde Beine" habe.






 

1 Kommentar:

  1. Lieber Manne, sehe ich es richtig? Hast du einen Radelpartner gefunden, der mit dir nach Santiago radeln will, Alter passt, Sprache auch. Und dann wäre die Reise ja auch nicht endgültig vorbei. Bin gespannt. Gute Beine bis zum Ziel und ein bisschen Sonne, Carlheinz

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